Lehrerin aus Mellen half in Chile bei Reform des Bildungswesens
Lehrer aus Südamerika wollen Isabel Bongard nun ehren und arbeiten an ihrer Biografie
Von Wolfgang Simon
In Mellen mögen nur wenige Menschen etwas mit dem Namen Isabel Bongard anfangen können. In Chile jedoch ist die Frau aus dem Golddorf auch lange nach ihrem Tode noch eine Berühmtheit. Trug sie doch wesentlich dazu bei, die Lehrerausbildung in dem südamerikanischen Land aufzubauen.
Auf dem Gelände der Universidad de La Serena, eine Stadt im Norden der Hauptstadt Santiago, ist sogar ein Campus nach Isabel Bongard benannt, einer von vier Bereichen, in die die Hochschule eingeteilt ist. Dort bekam auch Adriana Alfonso-Wuertele ihre Ausbildung. Die Lehrerin aus Chile lernte später in Argentinien ihren deutschen Mann Dr. Werner Wuertele kennen und ging mit ihm nach Deutschland. Der Kontakt in die Heimat und zu den Studienkollegen riss aber nicht ab, und zum 50-jährigen Examensjubiläum im Jahr 2010 nahmen sich die ehemaligen Kollegen vor, das Leben und Wirken von Isabel Bongard näher zu untersuchen und eine Biographie zu verfassen.
Bekannt war, dass Isabel Bongard im Jahr 1884 in Chile ankam. Mit ihr reisten 13 weitere Lehrerinnen und acht Lehrer. Die Beziehungen zwischen Chile und Preußen waren damals sehr gut. Preußen hatte den unabhängigen Andenstaat schon sehr früh anerkannt und auch Militärberater ins Land an der Pazifikküste geschickt. Als die chilenische Regierung nun das Schulsystem reformieren wollte, suchte sie Lehrer in Preußen, und Isabel war eine von denen, die diesem Aufruf folgten. Über Bordeaux verließ sie Europa, kam schließlich nach Santiago und arbeitete als Schuldirektorin in der Stadt La Serena. 1898 wurde sie nach Iquique versetzt, heute eine wichtige Handelsstadt mit 216 000 Einwohnern. 1908 kehrte sie nach La Serena zurück und arbeitete bis 1927, also bis zu ihrem 77. Lebensjahr weiter im Schuldienst. Ein Jahr später verstarb sie. Den Kontakt in die alte Heimat ließ sie nie abreißen, war auch noch in Mellen zu Besuch.
Adriana Alfonso-Wuertele übernahm es mit ihrem Mann, die deutschen Wurzeln Isabel Bongards zu erforschen und stellte schnell fest, dass dies keine leichte Aufgabe war. Lange verliefen ihre Recherchen im Sande. Zwar gab es bis zum Jahr 1960 noch Kontakte zwischen den deutschen und den chilenischen Bongards, den Nachkommen Isabels, doch dann riss der Kontakt völlig ab. Adriana Alfonso suchte in den Archiven in Berlin, Münster und Arnsberg, konnte aber keine Erfolge erzielen. Zwar gab es Spuren in den Kreis Arnsberg, zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass Isabel Bongard aus Mellen stammte. Dann kam der Zufall zu Hilfe: Eine Kollegin in Chile hatte bei ihren Recherchen den Totenschein von Isabel Bongard entdeckt, auf dem Mellen als Geburtsort vermerkt war. Zu dieser Zeit, vor gerade einmal drei Wochen, fand das Paar die Boutique von Gundi Bongard in Soest bei einem Besuch in dieser Stadt, und Gundi Bongard stellte den Kontakt nach Mellen her. Und auf dem Hof Bongard an der Balver Straße stellte Adriana Alfonso-Wuertele schnell fest, dass sie auf eine Goldader gestoßen war. „Endlich haben wir den richtigen erwischt!", war ihr erster Ausruf am Telefon, als sie mit Herbert Bongard sprach.
Herbert Bongard konnte ihr alte Bücher und Fotografien von Isabel Bongard zeigen. Die Familie besaß nach Unterlagen, die Teile des Lebensweges von Isabel Bongard beleuchteten. Zwar klaffen immer noch Lücken, doch das Bild, das Adriana nun von der Auswanderin zeichnen kann, ist wesentlich genauer als noch vor wenigen Wochen.
Anscheinend hat Isabel Bongard in Mellen die Volksschule besucht, hat später, wahrscheinlich in Menden, das Abitur erworben und studierte in Köln oder Bonn. Dort scheint sie auch später gearbeitet zu haben, denn den Aufruf der chilenischen Regierung kann sie nur in einer größeren Stadt gesehen haben. In Bonn gab es damals Seminare für die Lehrerausbildung, das hat Adriana Alfonso-Wuertele herausgefunden.